Modellierung und Optimierung der Koordination heterogener Mensch-Maschine-Teams

Projekt 2.2: Modellierung und Optimierung der Koordination heterogener Mensch-Maschine-Teams

Forschungsfeld 2: Simulation und Optimierung heterogener Mensch-Maschine-Teams

Promotionsprojekt 2.2: Modellierung und Optimierung der Koordination heterogener Mensch-Maschine-Teams in Remanufacturing und Recycling

Betreuer: Prof. S. Westphal, Prof. J. Zimmermann und Prof. C. Schwindt

Mensch-Maschine-Teams entstehen aus der Kooperation von Menschen und Maschinen bei der Ausführung von Aufgaben. In der industriellen Produktion sind Mensch-Maschine-Teams insbe-sondere dort anzutreffen, wo menschliche Intelligenz und Agilität mit maschineller Kraft bzw. Präzision kombiniert werden können. Im Unterschied zu traditionellen Produktionssystemen zeichnen sich Mensch-Maschine-Teams durch eine höhere Flexibilität, Polyvalenz, Individualität, Stochastizität und Vulnerabilität aus. Die Koordination von Mensch-Maschine-Teams umfasst sowohl die Abstimmung zwischen den maschinellen und den menschlichen Elementen eines Teams als auch die Zusammenarbeit mehrerer, i.A. heterogener Teams. Je nach gewähltem Koordinati-onsansatz können (teil-)autonome Mensch-Maschine-Teams individuelle Ziele verfolgen, die durch geeignete Anreizmechanismen zur Optimierung des Gesamtsystems beitragen. Aus der Diversität der Teams lassen sich typischerweise Synergien erzielen, die bei Einsatz herkömmlicher Anlagen nicht auftreten.

Ein wichtiges Zukunftsfeld für den Einsatz von Mensch-Maschine-Teams sind das Remanufac-turing und das Recycling von gebrauchten Erzeugnissen wie Kfz-Modulen, Hausgeräten oder Hardware von IuK-Systemen, die zu neuwertigen Produkten aufbereitet bzw. aus denen aufberei-tungsfähige Komponenten und Sekundärrohstoffe für die Herstellung neuer Produkte gewonnen werden. Hierfür müssen die Altgeräte zerlegt und deren Komponenten im Hinblick auf ihre weite-re Verwendung geprüft und aufgearbeitet werden. Eine typische Wertschöpfungskette besteht nach der Sammlung der Altgeräte aus den Stufen der Demontage, der Verlesung sowie der Erset-zung bzw. Aufarbeitung von Komponenten und der Wiedergewinnung von Sekundärrohstoffen

Vergleichsweise hohe Lohnkostenanteile und gesundheitliche Gefährdungspotentiale durch ergo-nomisch beanspruchende Tätigkeiten oder den Umgang mit Gefahrstoffen prädestinieren Rema-nufacturing- und Recycling-Prozesse für eine möglichst weitgehende Automatisierung. Insbeson-dere die Demontage und die Aufarbeitung erfordern aufgrund großer Variantenvielfalt und indi-vidueller Gebrauchs- und Verschleißmerkmale der Geräte und Komponenten jedoch gleichzeitig ein hohes Maß an Flexibilität. Diese Flexibilität ist mit dem aktuellen Stand der Automatisie-rungstechnik wirtschaftlich nicht vollständig/hinreichend abbildbar, so dass auch mittelfristig auf den Einsatz menschlicher Arbeitskraft bei der Demontage nicht verzichtet werden kann. Analog zu Entwicklungen in der Montage und der Intralogistik kommen jedoch verstärkt Mensch-Maschine-Teams zum Einsatz. Beispiele hierfür sind die Verwendung von Objekterkennungssys-temen zur Unterstützung von Mitarbeitern an Identifikationsarbeitsplätzen in der Verlesung, von Kraftassistenzsystemen bei intralogistischen Umschlagsprozessen oder von kollaborativen Robo-tern bei der Demontage von Altgeräten.

Im Rahmen der Forschung zur Modellierung und Optimierung heterogener Mensch-Maschine-Teams soll das Szenario einer Demontagefabrik untersucht werden, die nach dem Prinzip von Matrix-Produktionssystemen aus einer Vielzahl einzelner, materialflusstechnisch flexibel verbun-dener Demontagezellen besteht. Die Demontage eines Altgeräts erfolgt typischerweise schrittweise über Baustufen wie Baugruppen, Bauteile und Einzelteile. Die Ausführung des jeweiligen Demon-tageschritts für alle Einheiten eines Demontageauftrags entspricht einer Operation des Auftrags. Eine Demontagezelle verfügt über einen oder mehrere kollaborative Roboter, die in Kooperation mit einem Werker unterschiedliche Varianten von Geräten bzw. Komponenten jeweils einer Bau-stufe zerlegen können. Ein Demontageauftrag durchläuft daher i. A. während seiner Bearbeitung mehrere Demontagezellen. Für jede Operation können unterschiedliche Technologien zur Verfü-gung stehen, die sich z. B. im Automatisierungsgrad der jeweiligen Zellen unterscheiden. Die Wer-ker verfügen über polyvalente Qualifikationen und können somit in unterschiedlichen Zellen ein-gesetzt werden. Allerdings unterscheiden sie sich in der Regel im Hinblick auf ihre Qualifikations-profile und ihre Arbeitserfahrung. Im Idealfall ist für jeden Werker und jede Kombination aus Demontagezelle und  auftragstyp der zugehörige Wert einer Eignungskenngröße bekannt. Werker und die Betriebsmittel der Demontagezelle bilden für die Dauer der Ausführung einer Operation ein Mensch-Maschine-Team auf Zeit.

Bei der Steuerung der Demontagefabrik treten u. a. die folgenden Entscheidungsprobleme auf:

  • Wahl der Technologien für die Operationen eines Demontageauftrags,
  • Allokation geeigneter Zellen und Werker zu den Operationen eines Demontageauftrags,
  • Sequenzierung der Demontageaufträge in den Werker-Zelle-Teams und zeitliche Terminie-rung der Operationen.

Die Koordination der Ausführung der Demontageaufträge durch Werker und Zellen kann grund-sätzlich im Rahmen einer zentralen Planung, einer regelbasierten dezentralen Steuerung oder einer Selbststeuerung der Teams erfolgen. Da Demontageaufträge aufgrund der schwer prognostizierba-ren Qualitäten der Komponenten durch erhebliche Unsicherheiten geprägt sind, kommen für eine zentrale Planung Verfahren der stochastischen, der robusten, der revidierenden und der Online-Ab¬lauf¬planung infrage. Eine deutliche Komplexitätsreduktion ergibt sich bei Anwendung von Regelsystemen, die die Allokations- und Sequenzierungsentscheidungen auf der Grundlage einfa-cher Prioritätsregeln treffen oder auf der Implementierung eines Regelkreises zur Fertigungssteue-rung nach dem Prinzip von Production-Authorization-Card-Systemen beruhen. Am vielverspre-chendsten erscheint jedoch die Koordination der Mensch-Maschine-Teams mithilfe einer Selbst-steuerung, bei denen die Werker die Rolle (teil-)autonomer Agenten einnehmen, die um die Kom-binationen von Operationen, Zellen und Sequenzpositionen konkurrieren, in denen sie die ihnen zugeteilten Operationen in den jeweiligen Zellen bearbeiten können. Für Demontageaufträge mit mehreren Operationen wird i. A. zur Nutzung von Synergien die Kooperation mehrerer Teams sinnvoll sein. Eine solche Selbststeuerung kann bspw. über den Mechanismus kombinatorischer Auktionen realisiert werden, bei denen Werker bzw. Werker-Gruppen Gebote für Kombinationen aus Demontageaufträgen, Zellen und Sequenzpositionen abgeben. Die Allokation der Angebote zu den Geboten kann so erfolgen, dass eine geeignete übergreifende Zielsetzung wie die Maximierung der Summe der realisierten Eignungskenngrößenwerte verfolgt wird. Der Allokationsmechanismus ist mit einem Schema zur Gewinnaufteilung auf die Werker zu verbinden, der geeignete Anreize zu kooperativem Verhalten bietet und eine möglichst faire Verteilung ermöglicht. Über die operative Steuerung der Demontagefabrik hinaus ist eine Selbststeuerung auch geeignet, durch die Übertra-gung von Entscheidungskompetenzen die Mitarbeitermotivation zu erhöhen und langfristige An-reize zur eigenverantwortlichen Weiterqualifikation zu setzen.

Gegenstand der Untersuchungen werden am Beispiel einer Demontagefabrik die Entwicklung und der simulationsgestützte Vergleich geeigneter Verfahren zur Koordination von heterogenen Mensch-Maschine-Teams sein, die auf den Paradigmen der zentralen Planung, der dezentralen Steuerung und der Selbststeuerung der Teams basieren. Für verschiedene Anwendungsszenarien sollen die Stärken und die Schwächen der jeweiligen Koordinationsformen identifiziert und Emp-fehlungen für deren Einsatz erarbeitet werden.