Kopplung multi-physikalischer Prozesse zur Simulation von Gasbohrungen

Kopplung multi-physikalischer Prozesse zur Simulation von Gasbohrungen

Motivation und technischer Hintergrund

Im September 2010 hat die deutsche Bundesregierung ein neues Energiekonzept angekündigt. Die Ziele beinhalten wesentliche Änderungen in der Energieversorgung bis zum Jahr 2050. Große Herausforderungen bei diesem Vorhaben stellen die ausfallsichere Energieversorgung bei hohem Anteil stark fluktuierender Energieproduktion durch Wind- und Solarkraftwerke sowie die nachhaltige Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen dar. Für diese Zielsetzung können Untergrundgasspeicher auf unterschiedliche Weise eingesetzt werden: 

  • Wasserstoffspeicher im geologischen Untergrund könnten große Mengen elektrischer Energie zwischenspeichern. Bei dieser Technologie wird die elektrische Energie in chemische Energie umgewandelt und kann somit auf vergleichbar geringem Raum gespeichert werden. Zunächst wird die überschüssige elektrische Energie genutzt, um durch Elektrolyse Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu zersetzen. Der Wasserstoff wird anschließend komprimiert und in eine geschlossene geologische Formation injiziert. In Zeiten geringer Stromproduktion, aber hoher Nachfrage, wird der Wasserstoff aus der Gesteinsformation wieder entnommen und kann durch Motorgeneratoren oder Brennstoffzellen in elektrische Energie umgewandelt werden.
  • POWER-to-GAS: Wasserstoff und Biogase können in geringen Konzentrationen in das aktuelle Erdgasnetz eingespeist werden. Studien haben gezeigt, dass dabei Konzentrationen im einstelligen Prozentbereich denkbar sind. Bei diesem Konzept, welches im Bezug auf Wasserstoff „POWER-to-GAS“ genannt wird, dienen das Erdgasnetz und die bereits existierenden Untergrundgasspeicher als Speicher für die Energie.
  • CO2-Speicherung: Das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid, das vorwiegend bei Kraftwerken mit fossilen Brennstoffen aber auch bei verschiedenen Industrieprozessen entsteht, kann abgeschieden und in geologischen Formationen eingespeichert werden.

Für all die oben genannten Anwendungen repräsentieren Gasbohrungen (technische Integrität) und geologischen Speicherformationen (geologische Integrität) die systemkritischen Komponenten. Für deren Beurteilung und Bewertung der dauerhaften technischen Integrität ist eine gekoppelte Simulation des Verbundsystems (Bohrungsmaterial, Komplettierung, Zementation, geologische Formation, Formationsfluide) notwendig.

Stand der Forschung

Die Speicherung von Erdgas wird in Deutschland seit ca. 100 Jahren durchgeführt, um Schwankungen im täglichen und saisonalen Erdgasverbrauch auszugleichen, und ist somit eine etablierte Technologie. Die Erfahrungen im Bezug auf die Speicherung von anderen Gasen wie Wasserstoff, Kohlenstoffdioxid oder Gasgemische sind jedoch sehr begrenzt. In England und in den USA gibt es vereinzelt Kavernenspeicher, in denen verhältnismäßig geringe Gesamtvolumina an reinem Wasserstoff (>95%vol) gespeichert werden. Bei diesen Speichern wird von einem problemlosen Betrieb berichtet (Leonhard, 2008). In ehemaligen Gasspeichern und Aquiferen, bei denen das Gas nicht in einem großen Hohlraum sondern in den Gesteinsporen gespeichert wird, ist jedoch bei der Speicherung von H2 oder CO2 mit eventuell auftretenden Problemen zu rechnen. Erfahrungen dazu gibt es für die Speicherung von Stadtgas mit einem Wasserstoffanteil von bis zu 50%vol und für die Speicherung von CO2

Besonders kritisch ist die Integrität der Bohrungen zu bewerten. Hier kann es durch Spannungs- und Temperaturänderungen sowie durch Korrosionsprozesse zu Undichtigkeiten bzw. Leckagen kommen. Mögliche Leckagewege befinden sich dabei besonders an den Verbindungen zwischen (Deck-)Gestein und Zement sowie zwischen Zement und der Verrohrung. 

Die Speicherbohrungen in Deutschland sind zum Großteil älter als 30 Jahre und nur für den Betrieb mit Erdgas errichtet worden. Die Umstellung auf andere Gase könnte daher aus mehreren Gründen zu Problemen führen: 

  • Molekularer Wasserstoff kann in das Metallgitter der Verrohrungen eindringen und zur sogenannten Wasserstoffversprödung führen.
  • Die Einspeicherung von Wasserstoff kann zu einer mikrobiologischen Aktivität im Speicher führen. Dabei ist besonders die Produktion von H2S gefährlich, da so eine korrosionsfördernde Lösung entstehen kann.
  • Ebenfalls können abgeschiedenes CO2 und Biogas korrosionsfördernde Komponenten wie H2S enthalten.
  • Wasserstoff kann durch seine hohe Diffusivität und kleine Molekülgröße sehr viel schneller durch kleine Risse entweichen.
  • Die Injektion von Gaskomponenten (z.B. Wasserstoff und Kohlenstoffdioxid), die vorher nicht in der Lagerstätte vorhanden waren, kann zu einer Vielzahl von biochemischen und geochemischen Prozessen führen, die die Gesteinseigenschaften verändern. Gekoppelt mit den Spannungs- und Temperaturschwankungen kann dies zu Rissen im Zement oder an den Verbindungsstellen führen. Besonders gefährlich ist dies am Deckgestein, da hier eine Undichtigkeit der Lagerstätte entstehen kann.

Zu untersuchende Phänomene

Übergeordnetes Projektziel ist die Erstellung eines gekoppelten numerischen Modells, welches die hydrodynamischen, bio- und geochemischen, thermischen und geomechanischen Prozesse in der Nähe von Speicherbohrungen beschreiben kann. Dafür soll die Bohrung inklusive der Zementschicht und geologischen Formationen (Speicher- und Deckgesteine) in ein numerisches Modell eingebaut werden. Über eine Oberflächenkopplung soll diese mit einer Materialmodellierung der Verrohrung verbunden werden. Das gesamte gekoppelte Modell soll anschließend genutzt werden, um verschiedene Problemstellungen bei der Speicherung von Wasserstoff, Kohlenstoffdioxid und Gasgemischen zu untersuchen. Hierzu wird in einem ersten Schritt das Programm DuMuX (Flemisch et al., 2011), welche das hydraulische und chemische Verhalten im Untergrund beschreibt, mit der instationären Thermomechanik, implementiert im Programm TASAFEM (Hartmann, 2003), verbunden. Anschließend, d.h. im dritten Jahr, wird ein Modell der Geomechanik mit druckabhängiger Fließfläche in TASAFEM implementiert, um eine gekoppelte Berechnung  thermischer, geomechanischer, hydraulischer und chemischer Prozesse während der Ein- und Ausspeicherung zu erhalten. Das Kopplungstool muss dabei die Zeitintegration, die Interpolation der Daten des einen Programms auf das Gitter des anderen Programms steuern, sowie Beschleunigungsverfahren der Block-Gauss-Seidel Iterationen umfassen. Hierzu werden zwei Techniken implementiert. Innerhalb der Zeitintegration sollen die Vorgehensweisen unter Verwendung von schrittweitengesteuerten, diagonal-impliziten Runge-Kutta-Verfahren auf unterschiedliche Zeitskalen erweitert werden. 

Es soll in diesem Projekt eine moderne und effiziente Vorgehensweise herangezogen werden, um ein Kopplungstool für die vorliegende multi-physikalische Mehrfeldproblematik zu entwickeln. Ziel dabei ist es auch, Vorarbeiten für den in Celle entstehenden Drilling-Simulator zu leisten, damit diese dann in dem dort experimentell orientierten Forschungsbau verwendet werden können und damit eine Verflechtung aus Experiment, Anwendung, Theorie und Simulation zu erreichen.